Naja wie auch immer. Ich schaute mir die Seiten an und fand sie wie gesagt abstoßend, doch ich las mir trotzdem alles durch.
Die Diäten, bei denen man nur 500 Kalorien pro Tag zu sich nahm,
die Regeln, was man essen durfte und was verboten war,
die Briefe von "Ana" und ihre "Gebote".
Mir wurde schnell klar, dass diese "Pro Ana"-Seiten die Essstörung personalisierten und sie zu einer Freundin, einem eigenen Lebensziel machten. Sie verherrlichten die Magersucht.
Die Bilder, die auf den Seiten zu sehen sind zeigen knochige, abgemagerte Frauen, die als "Ideale" oder "Perfekte" Frauen angepriesen werden. Normal gewichtige Frauen werden als "fett" und "hässlich" bezeichnet, sie werden dargestellt als unkontrollierte und undisziplinierte Menschen, die das Essen in Übermaßen in sich hineinstopfen.
Nachdem ich mir die Seiten angeschaut hatte war ich mir sicher, dass ich niemals so enden wollte, niemals so abgemagert und ausgezehrt aussehen wollte und vor allem wollte ich niemals die Magersucht oder irgendeine andere Essstörung als Freundin betrachten.
Und obwohl mich die Seiten und ihre Inhalte teilweise echt wütend machten schaute ich die nächsten Tage immer wieder auf solche Seiten und las mir deren Inhalte durch. Ich schaute mir die Bilder an, die mit jedem Mal weniger knochig und nach einer Weile doch sogar ganz nett aussahen.
Ich stieß auf "Pro Mia"- Seiten (Bulimia Nervosa - Ess-Brech-Sucht), die die Bulimie personalisierten und sie als Freundin betrachteten und las mir Tipps durch, wie man am besten das Essen erbrechen und dadurch abnehmen konnte. Irgendwie widerlich aber doch interessant, wie ich damals fand. Ich schaute mir mehr und mehr Seiten an und vernachlässigte den Sport, das Fahrrad fahren und das Schwimmen und stopfte, während ich recherchierte Schokolade und andere Sachen in mich hinein.
Als ich realisierte wie viel ich gegessen hatte stellte ich mich vor den Spiegel und betrachtete mich.
Mir schossen Gedanken in den Kopf wie "Du bist so fett.", "Du kannst nichts durchhalten."und "Du wirst niemals so aussehen, wie die Leute auf den Bildern, wenn du so weiter frisst.".
Ich bekam ein schlechtes Gewissen und dachte an die Tipps, die ich mir durchgelesen hatte.
Ich trank ein wenig Mineralwasser, ging ins Bad, schloss die Tür und kniete mich vor die Toilette.
"Du kannst es ja einfach mal ausprobieren, es wird doch sowieso nicht klappen.", dachte ich und schob mir langsam den Finger in den Mund. Ein leichter Brechreiz war schon da, aber er reichte nicht. Ich probierte es ein paar Mal, aber es funktionierte nicht. Ich stand auf und wollte gehen aber ein bisschen übel war mir nun schon und immerhin wollte ich mal wissen, wie es sich anfühlt, nur einmal und dann nicht mehr.
Ich hatte gelesen, dass es mit einer Zahnbürste besser klappen sollte und probierte es so nochmal.
Es hat funktioniert. Es kam alles wieder raus, was ich vorher in mich hineingeschaufelt hatte.
Ein schönes Gefühl war das Übergeben an sich nicht, aber als ich fertig war und mich abermals im Spiegel anschaute, kam ich mir doch irgendwie befreit und etwas schlanker vor.
Ich hatte es jetzt einmal gemacht, es hatte funktioniert, aber weitermachen mit so etwas wollte ich auch nicht.
In den nächsten Tagen dachte ich über das Geschehene nach und fühlte mich doch irgendwie schlecht. Ich aß ein bisschen weniger, damit das Abnehmen schneller klappte, so wie ich es gelesen hatte und die Waage zeigte am Ende der Woche wieder 2 Kilo weniger an.
An dem Tag beschloss ich mir etwas zu gönnen und aß ein Stück Schokolade. Doch eh ich mich versah hatte ich die Tafel aufgegessen und immer noch Hunger. Also schmierte ich mir ein Brot, dann noch eins und noch eins, ich schaufelte Chips in mich hinein und noch eine Tafel Schokolade.
Am Ende saß ich auf meinem Bett und hatte ein schlechtes Gewissen. Ich schaute mich im Spiegel an und fand mich fett. Ich sah aufgedunsen und hässlich aus.
Ich dachte daran, dass ich doch gerne so schlank wäre, wie die Frauen auf den Fotos und ging zur Toilette.
"Einmal kannst du es ja noch machen, danach passt du einfach auf, dass du nicht wieder so viel isst.", dachte ich und steckte mir die Zahnbürste ein weiteres Mal in den Hals.
Es fühlte sich schrecklich an und die Magensäure brannte in der Speiseröhre.
Als ich fertig war säuberte ich die Toilette, wusch mir Gesicht und Hände und ging in mein Zimmer. Ich schaute im vorbeigehen in den Spiegel und fand dass ich doch gar nicht so hässlich aussah und ein bisschen dünner war ich auch.
In den nächsten Wochen schaute ich mehr und mehr auf diese Seiten, reduzierte mein Essen auf ein Minimum und hatte öfter solche Fressanfälle, wo ich alles in mich hineinschaufelte was wir (ich habe damals in einer WG gewohnt) im Kühlschrank hatten.
Mein schlechtes Gewissen war immer da, wenn ich einen Fressanfall hatte, der Blick in den Spiegel, die Gedanken, wie fett ich doch aussah und die Angst, das was ich abgenommen hatte wieder zuzunehmen. Also übergab ich mich nun immer nach einem Fressanfall und fühlte mich erleichtert und befreit.
Ab der Zeit wog ich mich jeden Tag und führte Buch über mein Gewicht..
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